Kaum etwas gestaltet sich heiterer,
als ein Ausflug in die 'spirituelle Szene'. Denn dort, wo wir
meinen, den Göttern extraordinär nahe zu sein - menschelt es häufig
ganz besonders stark...
Ich für meinen Teil unterscheide gerne zwischen
'Spiritualität' und 'spiritueller Praxis'. Während das eine die ewig
gültige und sich fortwährend expandierende Wahrheit beschreibt, ihr
erwachendes Bewusstsein und einen voranschreitenden Weg der
Erkenntnis, muss das andere, die spirituelle Praxis, nicht
zwangsläufig und in jedem Fall naturgetreues Abbild und Spiegel
dieser Wahrheit bedeuten. Sondern versteht es vielmehr, auch all
jenem Raum zu geben, das viele mit in sich aufzunehmen, das
vielleicht am passendsten als logischer Irrtum, partielles Defizit,
traditionsreiches Missverständnis oder eben auch schlicht als
praktischer Anwendungsfehler umschrieben werden kann.
Ganz bestimmt soll es niemanden geben, weder heute,
noch morgen, noch übermorgen, der festlegt und uns diktiert, was wir
als richtig erachten zu haben, und was als falsch - wo wir
meisterhaft ins Schwarze trafen - und wo auch kilometerweit daneben.
Niemand soll darüber richten, ob wir uns spirituell nennen dürfen
oder nicht, und niemand soll Aussage über unseren individuellen
Bewusstseinsstand treffen können. Und dennoch: Wenn es dort
niemanden gibt außer uns selbst, keine Instanz, keinen Richter,
keine Statuten, die uns verlässliches Urteil geben können, und wir zeitgleich von einem
erklärt innigen Wunsch nach wirklicher Wahrheit und unverklärtem
Bewusstsein beseelt sind - ist es da nicht angebracht, den Anspruch
an uns selbst so hoch wie möglich zu halten? Uns in Selbstkritik
sowie einer fortwährenden Überprüfung unserer Absichten zu üben?
Unsere Wahrheit kontinuierlich auf tatsächliche Wahrheit zu prüfen?
Und wenn wir uns darüber hinaus zusätzlich zur
Aufgabe machen, uns nicht nur um unser individuelles, sondern auch
um ein kollektives Bewusstsein verdient zu machen, und in dieser
Hinsicht wiederum den Kolumbus wie Che Guevara gleichzeitig geben,
ist in diesem Fall nicht noch einmal mehr größte Sorgfalt, alle
Bedacht sowie innige Verpflichtung gegenüber dieser Wahrheit
angesagt?
Ich habe lange damit zu tun gehabt, mich in
spirituellem Background von Menschen umgeben zu sehen, die
zusammengenommen für die Begriffe 'Bewusstsein', 'Wahrheit' und/oder
'Erkenntnis' zwei Milliarden unterschiedliche Interpretationen und
Auslegungen kennen - um diese denn auch wechselweise und entsprechend
nach Tagesverfassung jeweilig routiniert Anwendung finden zu lassen.
Und dennoch nehmen wir alle für uns in Anspruch - längst per du und
bestens befreundet mit zwei Milliarden unterschiedlicher Ansätze -
auf der Suche nach der 'Einen Wahrheit', den 'Ewig und immer
gültigen Gesetzen' und 'Universellen Erkenntnissen' zu sein.
Ich habe lange damit zu tun gehabt, die spirituelle
Praxis als 'Jongleur der tausend Widersprüche' in der Manege
auftreten zu sehen - ein Jongleur, der sich bestenfalls zum Clown,
gelegentlich aber leider auch schlicht zum Affen macht. Hantierend
mit besagter Vielzahl idiotischer Widersprüchen, um diese jedoch nicht zum
Anlass für die Auseinandersetzung mit jeweils betroffener Thematik zu nehmen,
sondern sie vielmehr friedlich Seite an Seite koexistieren - sich
freiheitlich ihres Daseins erfreuen zu lassen.
Ich betone: Niemand von uns ist vollkommen, niemand
ist allwissend und niemand ist unfehlbar. Und darum geht auch
überhaupt nicht. Wir alle sind Individuen mit einem unantastbaren
Recht auf unsere Einzigartigkeit.
Die Frage lautet daher auch nicht, wer ist
wie vollkommen, wie wissend und wie unfehlbar,
sondern: Nach wie viel individueller Vollkommenheit, nach wie viel
Wissen und tatsächlicher Erkenntnis, nach wie viel Wahrheit streben
wir ganz persönlich? Und wie viel der aufrichtigen Selbstehrlichkeit sind
wir bereit, hierfür in Kauf zu nehmen?
Niemand außer uns selbst, der uns eine Beantwortung
dieser Frage abnehmen könnte.
Aber vielleicht könnte es sich ab und an äußerst
heilsam und einend ausnehmen, dass es nicht unsere Individualitäten
sowie Einzigartigkeiten sind, die uns trennen, und uns in
spirituellen Belangen so häufig zu unterschiedlichem Ergebnis kommen
lassen - sondern vielmehr vorliegender unterschiedlicher
Selbstanspruch sowie ein uneinheitlich ausgeprägter Wunsch nach
wirklicher Erkenntnis und dem Einsatz, den wir zu bringen dafür
bereit snd.
So lange ich mit benannten Phänomenen spiritueller
Praxis konfrontiert gewesen bin, so lange habe ich auch nach Worten
und Wegen gesucht, meinen Gedanken und Empfindungen geeigneten
Ausdruck zu verschaffen. Kritik, Ärger und Belehrung sind keine
geeigneten Werkzeuge. Diese Lektion musste ich lernen.
Geblieben sind mir indessen die wundersamen Mittel
des Humors, der Ironie und des vereinzelten Sarkasmus. Und ja, ich
fühle mich sehr wohl damit.
Die (Wider)Sinne
sind demnach gleichermaßen Therapie wie unbändiges Vergnügen für
mich.
Und schließlich darf nun geraten werden: Was ist dran
an diesen (Wider)Sinnen? Was ist Dichtung, was Realität? Wo finden
wir Fiktion, wo tatsächliche Erfahrung?
Ich sage nur soviel: 'Narrenfreiheit' ist vielleicht
üblicherweise kein in der spirituellen Praxis häufig verwendeter
Begriff - und dennoch ist sie unter Umständen ein gar nicht so
seltener Gast...
In diesem Sinne:
die (Wider)Sinne!
©
2oo5, Saskia Katharina Krost