Spirituelle Bedingungssätze


 

Kaum etwas gestaltet sich heiterer, als ein Ausflug in die 'spirituelle Szene'. Denn dort, wo wir meinen, den Göttern extraordinär nahe zu sein - menschelt es häufig ganz besonders...

 

Ich liebe bedingungslos, ich vertraue bedingungslos, ich schwinge bedingungslos das Zepter meiner Eigenmacht und nicht zuletzt höre ich bedingungslos auf die Stimme meines Gefühls. Ganz, wie es sich für das spirituell verständige Wesen dieser Gegenwart gehört. Und dass es sich in meiner Person um ein ebensolches handelt, das will ich ohne jeden Zweifel wie inbrünstig meinen. Also liebe ich bedingungslos, vertraue ich bedingungslos, schwinge bedingungslos das Zepter meiner Eigenmacht und höre bedingungslos auf die Stimme meines Gefühls. Nun gut, vielleicht zeige ich mich nicht in allen aufgezählten Punkten ganz und gar bedingungslos. Zumindest noch nicht. Aber ich liebe, vertraue, schwinge das Zepter meiner Eigenmacht und höre auf die Stimme meines Gefühls. Und zwar unter exakt folgenden Bedingungen:

 

- Wenn ich schon bedingungslos liebe, dann möchte ich bitteschön bedingungslos wiedergeliebt werden. Im mindesten aber möchte ich davon ausgehen können, dass ich wenigstens in näherer bis fernerer Zukunft mit der unzweifelhaften Erwiderung meiner bedingungslosen Liebe rechnen kann. Und dass man sich insbesondere in dieser Hinsicht keinesfalls immer allzu sicher sein sollte, davon weiß meine kontinuierliche Erfahrung unwiderlegbar Zeugnis abzulegen.

 

Bedingungslose Liebe, die nicht erwidert wird, tut jedoch weh. Mir zumindest. Ich meine, es ist wirklich nicht schön, sich bedingungslos hinzugeben, um daraufhin bedingungslos auf die Nase zu fallen. Oder sieht das jemand anders?

 

Da ich im Laufe meiner unzähligen Inkarnationen, hier und anderswo, jedoch immer wieder mit dem Umstand konfrontiert worden bin, bedingungslos zu lieben und dem von mir Verehrten lediglich bedingungslos auf den Senkel zu gehen, haut das mit der bedingungslosen Liebe für mich nicht hin. Zumindest noch nicht.

 

Ganz abgesehen davon, dass ich es als mittlere Frechheit empfinde, dass meinem anmutigen wie werten Wesen scheinbar wieder und wieder sowohl Hinz als auch Kunz vorgezogen werden. Ich glaube tatsächlich, dass diejenigen, die mich eigentlich bedingungslos lieben sollten, mich schlicht bedingungslos piesacken wollen.

 

Damit aber erweisen sie sich meiner Liebe auf keinen Fall würdig. Unter gar keiner Bedingung sogar. Denn, ohne Frage beherrschen sie was nicht?

 

Richtig! Die bedingungslose Liebe.

 

Doch wie heißt es? Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ich spreche von einem hochstehenden Wesen verständiger Natur - wahlweise ein allwissender junger Gott oder auch Brad Pitt - von einem weisen Wesen, das darum weiß, dass es völlig unmöglich ist, etwas anderes zu leisten, als mich überaus bedingungslos zu lieben. Und zwar ganz egal, ob ich es meinerseits bereits zuvor bedingungslos liebte - oder unter Umständen gerade anderweitig beschäftigt war.

 

Derart begriffene Naturen habe ich bisher jedoch lediglich in höherliegenden Sphären ausmachen können. Meint, in den Himmeln und jenseitigen Reichen, den Welten der aufgestiegenen Meister, Geister, Engel und Götter. Da Wesen dieser höherliegenden Welten  vermögen, was hiesige Dimension keineswegs vermag –  erstere scheinen tatsächlich alle und jeden Menschen bedingungslos zu lieben, und damit auch mich –, tue ich es ab hier an den himmlischen Meistern, Geistern, Engeln und Göttern gleich. Und liebe von nun an gleichfalls bedingungslos. Die Wesen der höherliegenden Welten natürlich, nicht die Menschen. Die Menschen hasse ich.

 

Zudem viel erfreulicher, um bedingungslose Liebe zu buhlen, wenn mir mein Erfolg umso sicherer ist. Auf die bedingungslose Liebe anderer bin ich aber nach wie vor angewiesen – denn mich selbst bedingungslos zu lieben, - ein Rat der himmlischen Meister gleichermaßen wie meines Psychologen - keine Ahnung wie das nun wieder gehen soll.

 

In diesseitiger Dimension indessen liebe ich nur noch. Zudem ausschließlich den, der mich zuerst liebt. Und sich somit adäquat begriffen im Sachverhalt der bedingungslosen Liebe erweist.

 

Wer mich aber nicht bedingungslos liebt, den hasse ich bedingungslos. Womit auch diese Thematik wieder stimmig für mich wäre. Das kosmische Gleichgewicht befindet sich weiterhin im Lot. Zumindest das meine.

 

 

- Wenn ich schon bedingungslos vertraue, dann möchte ich bitte sehr nicht den geringsten Zweifel darüber behalten, dass ich auch allen Grund hierzu besitze. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist keine Lösung, ich weiß – aber ein kleiner Vertrag, der sich über alle relevanten Punkte äußert, müsste immerhin drin sein. Schließlich möchte ich keinerlei Nachteil erleiden. Vor allem dann nicht, wenn ich mich schon dazu durchgerungen habe, bedingungslos zu vertrauen.

 

Nehmen wir zum Beispiel die Jenseitigkeit: Die himmlischen Meister sagen, wir kämen ein jeder in den Himmel. Denn tatsächlich seien wir ausnahmslos weise, göttliche und auserlesene Wesen, die sich der Herrlichkeit des Himmels allesamt wert erweisen. Aber ich meine – kann ich ihnen in diesem Punkt wirklich bedingungslos vertrauen? Und wenn ja - unter welchen Voraussetzungen, sprich Bedingungen, darf ich ihrer Aussage unbedingt vertrauen?

 

Denn eines erscheint mir sicher: Irgendeine geringfügige Gegenleistung werden sicher auch sie erwarten. Wenn sie mich jedoch schon dazu aufrufen, ihren Worten schlicht bedingungslos zu vertrauen, dann müssen sie mir schon einen klitzekleinen - aber gebührend handfesten - Beweis erbringen, dass sie in dieser Angelegenheit tatsächlich Recht behalten werden.

 

Etwas schwierig, keine Frage, aber durchaus möglich. Wie wäre es beispielsweise mit einem bescheidenen, an mich persönlich adressierten Einschreiben von meiner gesamten, bereits verschiedenen Ahnenreihe, dass es ihnen durchweg gut gehe, sie ausnahmslos im Himmel Quartier bezogen hätten und darüber hinaus äußerst wohl behandelt würden? Meine Adresse müsste jenseitigen Gefilden jedoch hinreichend bekannt sein. Zumindest dann, wenn es stimmt, dass sie alles wissen, wie sie sagen – noch so eine Sache, die sie behaupten.

 

Also bitte, wenn ihr Wahrheit sprecht – wenn ihr Wahrheit sprecht - dann liefert mir bitte ausreichend Fundament für mein künftiges Vertrauen. Unter dieser Bedingung werde ich auch gerne bedingungslos vertrauen. Ansonsten kann ich leider nicht vertrauen. Schon gar nicht bedingungslos. Wie auch?!

 

 

- Wenn ich schon bedingungslos das Zepter meiner Eigenmacht schwinge, dann möchte ich bitte auch zweifelsfrei wie unwiderruflich zugesichert bekommen, dass ich alles und jedes richtig mache. Rückwirkend und zukünftig, gestern und heute, vor allem aber morgen. In jedem Moment meines selbstermächtigten Tuns. Denn ohne dies kann ich nichts tun. Überhaupt nichts. Ich bitte um Verständnis.

 

Ohne Zweifel lautet hier die Frage: Wie sollte ich mich bitte auf meine Eigenmacht berufen, wenn mir keiner sagt, was richtig ist? Es leuchtet ein, dass ich derlei Entscheidungen, Entscheidungen über mein Tun und allenfalls über mein Sein, keinesfalls eigenmächtig treffen kann. Vor allem dann nicht, wenn ich in den Himmel kommen möchte, siehe oben. Und irgendeinen Haken muss diese Sache mit meiner Eigenmacht schließlich haben.

 

Mittlerweile glaube ich, besagten Haken auch ausgemacht zu haben: Denn sofern ich mich tatsächlich vollständig wie selbstermächtigt in die Arme meines eigenmächtigen Denkens und Tuns begebe, entbehre ich zwangsläufig der notwendigen Instanz des wissenden Führers und Lehrers. Wenn ich aber auf mich allein gestellt bin und schlicht tue, was mein ermächtigtes Selbst gerade tun will, werde ich keineswegs immer das Richtige tun. Auf gar keinen Fall sogar.

 

Ebendies werden die geistigen Welten daraufhin aber sicherlich Argument sein lassen, mir den Zutritt in die Himmel vorerst zu verweigern. Eigenmacht hin oder her - ich hätte schlichtweg zuviel Mist gebaut. Und Eigenmacht bedeute schließlich immer noch, vollkommen eigenmächtig das Richtige zu tun - und nicht vollkommen eigenmächtig das Falsche. Wusste ich’s doch...

 

Daher: Meinetwegen schwinge ich das Zepter meiner Eigenmacht, wenn es denn tatsächlich das ist, was ich von heute an tun soll. Da ich auch sonst nicht in den Himmel komme. Allerdings behalte ich mir hierbei vor, mir beim Schwingen ein wenig helfen zu lassen. Und zwar von Führern und Lehrern, Gurus und Regenten. Diese sagen mir jedoch jedes Mal, was richtig und was falsch, was das Beste und was das Schlechteste ist. Immer. Überall. Genauer gesagt bei jedem meiner geringsten Schritte.

 

Sobald ich aber weiß, was es exakt und genau ist, das ich tun soll, fällt es mir auch leicht, es im Anschluss ganz und gar eigenmächtig zu tun. Klappt also. Sogar ganz wunderbar.

 

Und nicht zuletzt sind eigens sie, meine Führer, Lehrer, Gurus und Regenten der Ansicht, dass ich auf ewig ihrer umfassenden und wegweisenden Hilfe bedürfe. Dies allein, um die bedingungslose Eigenmacht mehr und mehr zu einem unbedingten Teil meines Wesens werden zu lassen. Ohne sie ginge das aber nicht.

 

Und wenigstens ihnen will ich vertrauen. Und zwar bedingungslos.

 

 

- Wenn ich schon bedingungslos auf die Stimme meines Gefühls höre, dann fordere ich zuvor, dass auch mein Verstand ihm allezeit kategorisch zustimmt. Und zwar bedingungslos. Ich meine – warum sollte ich etwas tun, das noch nicht einmal mein Verstand vermag?

 

Die himmlischen Meister sagen, dass Weisheit und Wissen niemals im Verstand zu finden seien. Sie sagen, der Verstand sei ein begrenztes Werkzeug dieser Realität, das teile und trenne, abwäge und seziere, hinterfrage und zweifle, aber selten erkenne. Ein Instrument, das schlicht nicht imstande sei, das größere Ganze zu sehen. Geschweige denn, uns mit einer übergeordneten, feinstofflichen Wahrnehmung zu dienen - und uns derart das Erfahren von Wahrheit, Wissen und Weisheit ewig vorenthalte. Ganz anders aber das Gefühl.

 

Also ich meine, wenn dem tatsächlich so wäre – dann hätte mein Verstand für sein angebliches Unwissen aber ziemlich stichhaltige Argumente. Und wo sollte er die bitteschön herhaben? Aus der Luft greifen, oder wie? Im Angesicht der Fülle scheinbar aus der Luft gegriffener Einwürfe bewiese sich mein Verstand allerdings als Experte des Feinstofflichen. Ganz so kann das also folglich nicht hinhauen.

 

Sagen wir so: Ich höre wirklich gerne auf die Stimme meines Gefühls - aber meinen Verstand werde ich deshalb noch lange nicht vor die Tür setzen. Ich wüsste auch gar nicht, wie das gehen soll. Er hört nicht auf mich.

 

Sofern mein Empfinden jedoch fürwahr weiser und wissender ist, dann müsste es meinem Verstand eigentlich einiges erklären können. Auch davon kann ich aber nichts bemerken. Wie ist das zum Beispiel mit dem Himmel, in dem sich alle Wesen aufhalten sollen? Ich für meinen Teil sehe da nichts. Nun gut, den Himmel sehe ich schon. Aber das war’s dann auch.

 

Wo sind denn die ganzen Wesen, die da eigentlich in genau diesem Moment sein sollten? Haben sie sich in Luft aufgelöst? In diesem Fall aber wären sie ja gar nicht im Himmel, sondern sie wären tatsächlich gar nicht. Kann also beispielsweise nicht ganz hinkommen, sagt mein Verstand.

 

Und was sagt mein Gefühl? Mein Gefühl sagt - Moment ich lausche -, mein Gefühl sagt: "Menschenskind, kann man denn noch nicht einmal im irdischen Dasein seine Ruhe haben? Frag doch den Verstand, der weiß sowieso alles besser." Na bitte, ganz meine Rede.

  

Ich bin beileibe ein spirituell verständiger Mensch. Daher liebe ich, vertraue ich, schwinge das Zepter meiner Eigenmacht und höre auf die Stimme meines Gefühls. Gar kein Problem. Aber Bedingungslosigkeit – Bedingungslosigkeit war keineswegs Teil der Abmachung. Daran wüsste ich mich zu erinnern. Unbedingt.

 


aus der Reihe: (Wider)Sinne | © 2oo5, Saskia Katharina Krost