Eine geführte Meditation


 

Kaum etwas gestaltet sich heiterer, als ein Ausflug in die 'spirituelle Szene'. Denn dort, wo wir meinen, den Göttern extraordinär nahe zu sein - menschelt es häufig ganz besonders...

 

Stelle sicher, dass du die nachfolgende halbe Stunde nicht gestört wirst. Stecke das Telefon aus, stelle die Türklingel ab, begib dich in einen  Raum deiner Wahl und schaffe alle Voraussetzungen, um dich nachfolgend absolut wohl zu fühlen. Mache es dir bequem.

 

[Nicht so bequem – den Martini Dry bringst du bitte umgehend dahin zurück, wo du ihn hergeholt hast, und die Lounge-Musik stellst du auch wieder aus. Das sind definitiv keine geeigneten Zutaten für eine Meditation, wir sind hier nicht im Urlaub. Wir wollen arbeiten. Spirituell.

Jawohl, du willst das ebenfalls, es ist dir nur noch nicht bewusst. Aber an Deinem Bewusstsein arbeiten wir ja jetzt. Also vertraue bitte – und halte endlich den Mund.]

 

So. Setze oder lege dich nun in angenehmer Haltung hin und komme allmählich zur Ruhe. Schließe die Augen. Du sinkst tiefer und tiefer in einen Zustand, der dir größte Entspannung gewährt. Du fühlst dich leicht, heiter und beschwingt.

 

[Hey, ich  sprach von 'leicht, heiter und beschwingt', nicht von 'einschlafen'. Nix da, wach sofort wieder auf!! Du boykottierst komplett meine Bemühungen. Wer oder was will denn hier nun bewusst werden – du oder ich? Moment mal, du meinst, ich will, dass du bewusst wirst? Du spinnst ja wohl. Am besten absolvierst du die Meditation im Stehen. Die senkrechte Position ist für Anfänger sicherlich am besten geeignet.]

 

Spüre nun, wie jeder Teil deines Körpers schwerer und schwerer wird  spüre die Unterlage, auf der du sitzt oder liegst. Verzeihung, stehst. Verlangsame deinen Atem. Mehr und mehr. Ja, sehr gut, wie du das machst.

 

[Stop mal - du sollst nicht aufhören zu atmen, sondern deinen Atem nur verlangsamen, also hole bitte sofort wieder Luft!! Was willst du dem Rettungsdienst sagen – du hättest meditiert? Keine Chance. Du wirst unserem Gesuch  nach einer Imageverbesserung der  spirituellen Beschäftigung ganz bestimmt nicht mit einer Bewusstlosigkeit in die Quere kommen. Also atme – ich werde dir auch keinerlei Vorschriften mehr machen, wie.]

 

Während du nun aufrecht und stocksteif stehst, irgendwie atmest, ganz egal wie, nicht mehr an den Martini Dry und deine ursprüngliche Aussicht auf einen entspannten Nachmittag denkst – dies hier ist Entspannung, du Greenhorn – spürst du, wie sich in deinem Innern die Tür zu deinem Unterbewusstsein öffnet.

 

[Du siehst keine Tür? Meine Güte – was hast du nur für ein anarchistisches Inneres? Nicht zu fassen, diese Unbewussten – nicht mal Ahnung von ihrem Unterbewussten. Hmm, was machen wir denn nun... Vielleicht hilft meditieren? Ach so, dass tun wir ja gerade. Herr im Himmel, du machst mich auch schon ganz wuschig...]

 

Nun gut - erschaffe dir eine Tür.

 

[Du weißt nicht, wie das geht? Mann, Mann, was weißt du überhaupt? Schöpfen, erschaffen, fokussierte Absicht – nie gehört? Okay, vergiss die Tür, hat ja keinen Zweck.]

 

Also: Du befindest dich nun in deinem Unterbewusstsein. Piepegal, wie du dort hingekommen bist, interessiert mich auch nicht die Bohne. In jedem Fall bist du nun in deinem Unterbewusstsein. Pass gut auf: Du findest Dich in einem erhabenen, großen Raum wieder. Dies hier ist der Saal deines Unterbewusstseins. Schau dich genau um und beschreibe mir, was du siehst.

 

[Es ist stockduster und Du siehst überhaupt nichts? Idiot, mach das Licht an. - Was machst Du denn jetzt – Herrgott nochmal, warum grabbelst Du an mir herum? - Du sagst, Du suchst den Lichtschalter? Das ist jetzt nicht Dein Ernst, oder...?!]

 

In Ordnung. Dann eben anders. Öffne Deine Augen, stelle Dir vor, dies hier sei der Saal Deines Unterbewusstseins, und beschreibe mir, was dir als erstes auffällt.

 

[Es sollte mal wieder aufgeräumt werden? Das sehe ich zweifellos auch so. Und was, bittschön, sollen wir damit jetzt anfangen? – Du meinst, wir könnten ja aufräumen? – Also langsam gehst Du mir wirklich auf den Keks. Siehst Du nichts anderes? Vielleicht eine Erkenntnis, die sich unter dem Zeitschriftenstapel dort drüben versteckt, eine Wahrheit, die sich zwischen den leeren Joghurtbechern verbirgt - oder unter Deinem Bett? Nein? Egal  – du bleibst, wo du bist, wir meditieren.]

 

Okay, pass auf: Konzentriere dich nun voll und ganz auf deine Körpermitte. Tauche in die Stille ein und achte auf deine Empfindungen. Was fühlst du?

 

[Du sagst, das sei nicht jugendfrei, was du in deiner Körpermitte gerade empfindest? Du fragst, ob ich nicht dasselbe in meiner Körpermitte empfinden würde? Du versautes... Oh, Verzeihung. Ich habe mich hinreißen lassen. Ich befürchte, wir befinden uns gerade im Begriff, vom Pfad der Tugend abzukommen. Und zwar massiv. Nix da. Umkehr - und zurück, marsch, marsch...] 

 

Also. Aus aktuellem Anlass und in Reaktion auf die Gegenwart hochgradiger Meditationslaien werden wir die ganze Sache jetzt drastisch vereinfachen. Nochmals auf Anfang. Und von vorn:

 

Stelle sicher, dass du die nachfolgende halbe Stunde nicht gestört wirst. Stecke das Telefon aus, stelle die Türklingel ab, begib dich in einen  Raum deiner Wahl und schaffe alle Voraussetzungen, um dich nachfolgend absolut wohl zu fühlen. Gehe in die Küche und hole dir einen Martini. Bring mir bitte auch einen mit. Nein, besser du bringst die ganze Flasche.

 

Mache es dir bequem. Mir bitte auch – reiche mir doch mal die Decke und das Kissen da hinten. Ach, pass auf - ich lege mich in dein Bett. Scheint mir am bequemsten.

 

So. Setze, lege oder stelle dich in angenehmer Haltung hin und trinke einen Martini. Prost! Ja, ich trinke auch einen. Schließe die Augen. Spüre, wie der Martini langsam deinen Körper wärmt, mehr und mehr seine Wirkung in dir entfaltet - und sich alle deine Verspannungen lösen. Du sinkst tiefer und tiefer in einen Zustand, der dir größte Entspannung gewährt. Du fühlst dich leicht, heiter und beschwingt.

 

[Jetzt klappt es? Na, bitte. Man muss den Menschen einfach dort abholen, wo er steht. Eine wertvolle Erkenntnis. Und sogar Martini Dry ist derart drin. Beschwingt fühle ich mich jetzt übrigens auch. Apropos: Reichst Du mir bitte nochmal die Flasche? Danke.]

 

Okay. Erfahre nun, wie jeder Teil deines Körpers schwerer und schwerer wird. Spüre die Unterlage, auf der du sitzt oder liegst. Verzeihung, stehst. Verlangsame deinen Atem.

 

[Eigentlich könnten wir doch ein wenig Musik anmachen, findest du nicht? Hast Du die Lounge-Musik von vorhin noch nur Hand? Prima. Na, das macht doch jetzt mal richtig Spaß. Meditieren ist klasse, oder? Ach so - Meditieren, genau...]

 

Gut. Wo waren wir? Ich glaube, jetzt käme das mit der Tür. Kriege ich gerade aber auch nicht mehr wirklich zusammen. Ach komm, vergiss die Tür. Wie war denn Dein letzter Urlaub?

 

[Schenkst Du mir bitte auch noch einen Martini nach und stellst die Musik ein bisschen lauter? Danke dir, sweetheart. Übrigens: Ich glaube, ich fühl' das jetzt auch - in der Körpermitte... Hey, Moment, was grabbelst du denn jetzt schon wieder...?! Ach so, der Lichtschalter, ich verstehe - also meine Stimmung erhellt sich gerade deutlich - such' ruhig weiter...]

 

Ach, weißte, vergessen wir die Meditation. Beten wir einfach.

 

"...und vergib' uns unsere Schuld - wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung..."

 

[Ach, weißte was? Gott ist Schuld - er hat uns in Versuchung geführt...

 

So, genug gebetet. Und jetzt machen wir Sex. Auch gut für's Bewusstsein. Beschließe ich jetzt einfach. Und für die Tiefenentspannung erst! Du wirst sehen. Come on, honey...

 

Und die Moral von der Geschicht': Meditieren ist geeignet für jeden nicht.

 


aus der Reihe: (Wider)Sinne | © 2oo5, Saskia Katharina Krost